Bei der Erwähnung der Tiroler Schützen denkt man meistens an den Freiheitskampf von 1809 oder an die Trachtenschützen bei kirchlichen und weltlichen Festen. Dabei trugen diesen Namen aber von Anfang an nur jene Männer, die zunächst mit der Armbrust und dann mit dem Gewehr im sportlichen Wettkampf an den Schießständen um Preise auf die Scheiben schossen.

Wer sich mit der Geschichte des Schützenwesens in Tirol vertrauter machen will, der muß sich zunächst mit der Entwicklung der Wehrverfassung dieses Landes auseinandersetzen, auf deren Eigenarten viel vom “Tiroler Selbstverständnis und Selbstbewußtsein als politischhistorische Individualität” beruht. Die Anfänge der Tiroler Wehrverfassung gehen weit zurück. Otto Stolz verweist in diesem Zusammenhang sogar auf das kriegerische Wesen der alten Räter, der Baiern und der Schwaben im Altertum und frühen Mittelalter als eine der volkhaften Grundlagen der Wehrhaftigkeit in Tirol.

Das germanische Recht forderte nämlich eine Teilnahme aller Besitzenden, also auch der freien Bauern, am Heeresaufgebot. Bis in die Zeit Karls des Großen hatte dies Geltung. Dann aber ging die Zahl der freien Bauern stark zurück, bedingt vor allem dadurch, dass die meisten von ihnen in ein starkes Abhängigkeitsverhältnis zum Adel und zur Kirche gerieten. Den Militärdienst der Könige und der Herzöge bzw. der Landesfürsten versah in der Folgezeit eine viel kleinere Zahl von gut ausgebildeten Kriegern, den Rittern, die dafür ein Lehen erhielten.
“Das Heerwesen der deutschen Stämme, die allgemeine Wehrpflicht aller grundbesitzenden Volksgenossen, auf der einen und die besondere Gefolgschaft der Herzöge und Könige, d.s. die Berufskrieger, auf der anderen Seite, setzen sich im Mittelalter, etwa vom 8. bis 13. Jahrhundert, in der Landwehr- und Landsturmpflicht der Bauern wiederum auf der einen und im Ritter- und Lehenswesen auf der anderen Seite fort.”

Die Heranziehung der Bürger und Bauern zur Landesverteidigung, einer der wesentlichen Gründe für die relativ frühe Entwicklung des politischen Selbstbestimmungsrechtes dieser unteren Stände, geht bereits auf den eigentlichen Schöpfer Tirols, Meinhard II., zurück. Um dem Adel ein wirksames Gegengewicht gegenüberzustellen, förderte er das Bürgertum in den Städten und Märkten und die Bauern, die am Ende seiner Regierungszeit direkt der Macht des Landesfürsten unterstanden, nicht wirkliche Vollfreie, aber durch das Erbpachtrecht konnten sie doch praktisch frei über Haus und Hof verfügen.

Im Kriegsfall zog er sie dafür zur Verteidigung des Landes heran, vor allem, um nicht zu sehr in die Abhängigkeit des Adels zu geraten; so wurden zum Beispiel bereits 1290 die Bürger von Bozen laut einer Urkunde im Rahmen ihrer Privilegien zur Heerfahrt für den Landesfürsten verpflichtet. Nach Stolz werden in dieser Urkunde erstmals in Tirol in deutscher Sprache die Ausdrücke “Heerfahrt” und “Raise” im selben Sinn für “Kriegszug” schriftlich verwendet (“exitus contra hostes, quod vulgo dicitur hervart” und “reisa et exitus contra hostes”).
Das 14. Jahrhundert brachte dann aber einen empfindlichen Rückschlag. Die Habsburger, zu denen Tirol 1363 gefallen war, vertrauten wieder lieber dem Adel und angeworbenen Söldnerheeren als dem Volksaufgebot. Die Folgen sollten aber nicht lange ausbleiben. In der Schlacht bei Sempach vom 9. August 1386 wurden die Ritter aus Tirol und Schwaben unter Herzog Leopold III. von den eidgenössischen Fußsoldaten vernichtend geschlagen, die Einfälle der Appenzeller Bauern versetzten der Vorherrschaft des Adels den endgültigen Todesstoß.
Der neue Landesfürst Herzog Friedrich mit der leeren Tasche (1406-1439) zog aus diesen Niederlagen die Konsequenzen. Wie einst Meinhard II., stützte sich auch Friedrich im Kampf gegen die Adelsherrschaft auf Bürger und Bauern. In der Landesordnung von 1406 werden ihre Dienste anerkennend hervorgehoben, die beiden unteren Stände somit politisch aufgewertet. Und aus demselben Jahr ist uns auch das älteste Aufgebot eines Landesfürsten erhalten, nämlich für das Gericht Passeier zu einem Kriegszug in Welschtirol.

“Ton und Inhalt dieses Aufgebotsschreibens von 1406 stellen außer Zweifel, dass die Wehrpflicht der Bauernschaften in Tirol zur Verteidigung des Landes schon damals eine ständige Einrichtung gewesen ist. Nur jene Bauern, die an geistliche Stifter und Adelsherren leibeigen waren, waren nicht zum Wehrdienst für den Landesfürsten, sondern nur für ihre Leibherren verpflichtet und wurden von diesen auch für ihre Fehden herangezogen”. Die Kriege, die Herzog Friedrich infolge der Ereignisse am Konstanzer Konzil 1415/16 gegen seinen Bruder, Herzog Ernst, und dann gegen einige mächtige Adelsherrn, nämlich jene von Rottenburg, von Schlandersberg und von Starkenberg, führen mußte, waren nach Erich Egg die entscheidende Stunde für den Landesherrn und für Tirol.
Bürger und Bauern hielten unerschütterlich zu Friedrich und zur Einheit des Landes und kämpften an der Seite des Herzogs gegen den Adel. Als Dank dafür erhielten sie eine Vertretung bei den Landtagen. Herzog Sigmund (1439-1490) setzte die Linie der Verteidigungspolitik Friedrichs fort und bot 1487 in der Schlacht bei Calliano (unterhalb von Trient) gegen die Venezianer erstmals den sogenannten “Sturm” (später Landsturm genannt) auf. Dieser umfaßte alle Waffenfähigen der gefährdeten Südgrenze sowie die sonst nicht verpflichteten ledigen Dienstleute und Knechte.